Warum das Warten auf die Umsetzung des Gesetzes* vom 16.01.2020 sinnlos ist

*sog. „Rohrkrepierer-Gesetz“

Unser Offener Brief vom 01.03.2023 an alle MdB wurde u.A. wie folgt beantwortet, sinngemäß:

Nun warten Sie bitte ab, bis das am 16.01.2020 vom Bundestag beschlossene ‚Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende‘ seine Wirkung entfaltet. 

 

Die Wartezeiten für eine Niere liegen in Deutschland mittlerweile bei ca. neun Jahren. In Spanien warten Patienten ca. ein Jahr, in Österreich ca. 14 Monate  (nach auf-die Warteliste-kommen).

Das o.g. Gesetz vom 16.01.2020 beinhaltet u.A. den

 

  • Betrieb eines Registers (ab 01.03.2022!), in das Bürger ihre Bereitschaft oder Weigerung zu einer Organspende nach ihrem Hirntod eintragen können
  • die Möglichkeit, diesen Eintrag innerhalb von Bürgerämtern und Ausweisstellen vorzunehmen, wenn sie einen Personalausweis/ Reisepass beantragen oder abholen
  • sich von Mitarbeitenden dieser Ämter zum Thema Organspende informieren zu lassen.
  1. Der Bundestag verspricht sich davon eine erhebliche Steigerung der Zahl der Organspender/ Transplantationen und somit weniger Leid, Siechtum und Tod. Deutschland liegt in Europa auf diesem Gebiet seit vielen Jahren im Tabellenkeller.
  2. Betrachten wir drei Aspekte/ Rahmenbedingungen denen das o.g. Gesetz unterliegt:  einer mathematisch-soziologischen und zwei politischen Rahmenbedingungen.
  1.  
  2. 1) Mathematik/ Soziologie
  3.  
  1. Das Register ist nicht vorhanden, es soll wahrscheinlich in 2024 in Betrieb gehen.
  2. Welcher datensichere Weg zur Eintragung ist vorgesehen?
  3. a) ) Per Personalausweis mit e-ID-Funktion
  4. b) Dies funktioniert nur mit der staatlichen „Ausweisapp2“ (Laut „Statista“ können sich 8 %. der Bundesbürger vorstellen, den Personalausweis mit e-ID-Funktion zu nutzen; 62 Mio. besitzen bereits diesen Personalausweis; 8% davon sind ca. 4.960.000)

c) also könnten sich max. 4,96 Mio. Bürger in das Register eintragen.

 

  1. Die Eintragungsquote in Frankreich beträgt 0,5%, in Österreich 0,6% der Bevölkerung (beides Widerspruchsregister), die Eintragungsquote in der Schweiz betrug 2% (Zustimmungsregister, ist im Dezember 2022 geschlossen worden).
  2. Nun multiplizieren wir die 4,96 Mio. theoretisch möglichen Einträge mit der höchsten Eintragungsquote von 2%. Dies ergibt 99.200 Einträge in das Register.
  3. Nur knapp jeder 1.000 Verstorbene in Deutschland stirbt den Hirntod. Ohne Hirntod ist aus juristischen Gründen keine Organspende möglich. Die 99.200 theoretischen Einträge müssen nun mit der Hirntodwahrscheinlichkeit von 1 Promille multipliziert werden: Dies ergibt 99, aus Vereinfachungsgründen runden wir auf 100 auf.
  4.  
  5. Das ist die Zahl der theoretisch möglichen Organspender auf Basis des neuen Registers, immer vorausgesetzt, es gäbe nur Zustimmungen für die Organspende (was extrem unwahrscheinlich ist). Höchstwahrscheinlich sind es im Endeffekt genau die Menschen, die sowieso schon jetzt einen Organspendeausweis besitzen; es ist davon auszugehen, dass die Zahl der zusätzlichen, potenziellen Organspender im niedrigen zweistelligen Bereich liegt.

Soviel zur Mathematik und Soziologie.

 

  1. 2) Kompetenzgerangel der Politik

 

  1. Wie oben erwähnt, beinhaltet das Gesetz vom 16.01.2020 die Verpflichtung der für die Ausstellung und die Ausgabe von Personalausweisen, Reisepässen, Passersatzpapieren und e-ID-Karten zuständigen Stellen (Bürgerämter o.ä.) zur Sicherstellung der Abgabe einer Erklärung zur Organ- und Gewebespende in das Online-Organspenderegister für die Bürger.
  2. Die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) der Länder hat am 24.02.2022 beschlossen, den Bundesgesundheitsminister zu bitten, die o.g. Stellen von dieser Verpflichtung zu entbinden. Die Begründung dafür lautet: Ein Bundesgesetz (das vom 16.01.2020) darf gem. Art. 84 Abs. 1 Satz 6 des GG keinerlei Aufgaben auf Kommunen und Gemeindeverbände übertragen. Mit anderen Worten: Das „Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ verstößt demnach gegen das GG.

 

  1. 3) Bundespolitik vs. Föderalismus/ Kommunalpolitik

 

  1. Für die unter 2) erläuterte Verpflichtung der Mitarbeiter der kommunalen Ämter sind fünf bis acht Minuten vorgesehen. Die GMK weist zusätzlich darauf hin, dass dieser Zusatzaufwand von den Mitarbeiterinnen nicht geleistet werden kann. Die Erwartung der Bürger, von diesen Mitarbeitern auch zum Thema Organspende beraten werden zu können, könne nicht erfüllt werden.
  2. Darüber hinaus sind sich die Gesundheitsminister und die Innenminister der Länder nicht einig, wer für die technische Anbindung des Registers an die zahlreichen und vor allen Dingen unterschiedlichen Fachverfahren in den kommunalen Ämtern zuständig ist/ sein soll.
  3.  

Fazit: Das „Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ wird nicht wirken, weil es offensichtlich aus juristischer, fachverwaltungstechnischer, arbeitsprozessuraler (kommunaler) und soziologisch-mathematischer Sicht nicht zu Ende gedacht ist.

Was wünschen wir uns?

Dass die Politiker im Bundestag souverän sind und ihre Fehlentscheidung von 2020 erkennen und diese revidieren.