Einführung der Widerspruchsregelung: Status quo

Die Anhörung zur Einführung einer Widerspruchsregelung (WSR) im Gesundheitsausschuss am 29.Januar 2025 hat gezeigt, dass die Fronten in Deutschland auch nach 20 Jahren zermürbender Diskussion verhärtet sind. Ein wichtiger Fortschritt ist jedoch, dass die Interessen der Betroffenen erstmals aktiv durch das Bündnis ProTransplant (Niere NRW ist Mitglied) vertreten werden. Seitens der Gegner gibt es Versuche, den gegenwärtigen Stillstand weiter zu zementieren. Dem wird sich das Bündnis weiter entgegenstellen. 

 

„Vier Minuten Redezeit reichen nicht aus, um das Elend zu beschreiben, das in Deutschland herrscht“, so die Sprecherin des Bündnisses, Zazie Knepper, in der Anhörung. „Täglich erreichen uns herzzerreißende Geschichten von Betroffenen. Ich selbst habe erlebt, wie meine Leistungsfähigkeit immer weiter abnahm. Die Dialyse ersetzt nur 10% der Nierenfunktion. Ich bin nachts schreiend vor Schmerzen aufgewacht, mit Krämpfen, die nicht aufhörten. Ich war 52 Jahre alt, als ich an die Dialyse kam. Wenn man dann hört, die Wartezeit beträgt bis zu 12 Jahre, ist das eine Wand, die sich vor einem auftut.“

Knepper sagte weiter, die Betroffenen seien es leid, seit Jahren als Spielball zwischen Politik und Gesundheitssystem missbraucht zu werden. Die bisher beschlossenen Maßnahmen seien wirkungslos, „weil das erste und zweite Stockwerk ohne Fundament gebaut wurden, und das ist die WSR. Die Bürgerinnen und Bürger sind viel weiter als die Politik: Sie sprechen sich mehrheitlich nicht nur für Organspende aus, sondern auch für eine WSR“, unterstrich sie.

 

Hunderttausende sind betroffen

Zugleich machte sie das Ausmaß des Problems deutlich: „Wir sind viele. Die 8.300 Menschen auf der Warteliste sind nur die Spitze des Eisbergs. In Deutschland gibt es etwa 100.000 Dialysepatient*innen. Während in Spanien weit über 50% von ihnen transplantiert werden, sind es in Deutschland nur ca. 20%. Schätzungsweise 30.000 bis 50.000 Nierenkranken könnte mit einer Transplantation geholfen werden. Ein Großteil wird aber gar nicht gelistet, obwohl jeder Betroffene grundsätzlich einen Anspruch darauf hat. Hinzu kommen Patient*innen, die ein Herz, eine Leber oder eine Lunge brauchen. Auch die vielen Angehörigen leiden massiv.“

„Wir werden dafür sorgen, dass die katastrophale Situation der Patient*innen auch in der nächsten Legislaturperiode wieder auf der politischen Tagesordnung steht“, betont ProTransplant-Sprecher Mario Rosa-Bian. „Das immer wieder beschworene Vertrauen, wie soll es hergestellt werden in ein System, das nicht funktioniert? Wir freuen uns, dass Bündnis 90/Die Grünen die WSR inzwischen als Ziel in ihr aktuelles Wahlprogramm aufgenommen haben. Dies zeigt: Ein Umdenken ist möglich.“

 

Keine neuen Gegenargumente

Die in der Anhörung vorgebrachten Gegenargumente waren nicht neu. Zum Teil wird die Diskussion auf hochakademischem Niveau geführt, weit weg von den realen Problemen der Patient*innen. Die wissenschaftliche Evidenz zur WSR aus anderen Ländern ist widersprüchlich. Klar ist jedoch, dass die Transplantationskennzahlen in all diesen Ländern eklatant besser sind als in Deutschland. Zudem sind keine Daten bekannt, die zeigen würden, dass die Einführung der WSR Schaden angerichtet hätte. Es gibt kein einziges Land in Europa, das auf die in Deutschland geltende Zustimmungsregelung umgestellt hat. Das Gegenteil war und ist der Regelfall.

 

Wenig konstruktive Vorschläge

Zudem mangelt es an neuen Vorschlägen, wie die Situation verbessert werden könnte, was dazu führt, dass mittlerweile im Gesundheitsausschuss sogar über „eine Art Organhandel in regulierter Form“ nachgedacht wird, um die WSR zu umgehen. „Für zielführende Maßnahmen sind wir offen. Deshalb wird die berechtigte Forderung, die Strukturen in den Kliniken weiter zu optimieren, von uns selbstverständlich und nachdrücklich unterstützt: Wir brauchen mehr Transplantationsbeauftragte und vielleicht auch ein Transplantationssystem in staatlicher Verantwortung. Nichts zu tun ist jedoch keine Option“, so Rosa-Bian.

Umso mehr bestürzt es, dass etwa von der theologischen Ethik gefordert wird, weiter zu warten, ob die 2019 und 2020 beschlossenen Maßnahmen vielleicht doch noch irgendwann Wirkung zeigen. Wie wirkt ein solcher Vorschlag auf Schwerkranke, deren Hauptproblem darin besteht, auf eine lebensrettende Therapie zu lange warten zu müssen? Wie lange sollen sie noch warten? Die Antwort in Deutschland lautet derzeit: Im Zweifel bis zum Tod.

 

Interessantes zum Timing und zum Ablauf der Anhörung

Am 5.12.2024 fand die erste Lesung des Gesetzesvorschlages zur Einführung der WSR statt. Der 27.1.2025 wäre der letzte Tag für diese Anhörung gewesen, um vor der Bundestagswahl noch eine zweite und dritte Lesung des Gesetzes im Bundestag zu ermöglichen und ggf. in Kraft zu setzen.

Warum kam es nicht dazu?

Weil es einen dubiosen Kompromiss im Gesundheitsausschuss zwischen der CDU und der FDP zu Lasten der Organwartepatienten und der Frauen gab: Keine Reform des §218 Strafgesetzbuch (formale Straffreiheit bei bisher grundsätzlich strafbaren – aber erlaubten- Abtreibungen) und keine Reform des Transplantationsgesetzes in Richtung WSR.

Wir finden, Ihr solltet dies wissen, wenn Bundespolitiker immer wieder davon sprechen, dass das Abstimmverhalten der MdB zu ethischen Themen (z.B. die mögliche WSR oder der §218 StGB) keiner Fraktionsdisziplin unterliegen und die MdB nur nach ihrem Gewissen urteilen und entscheiden. Diese Aussage ist falsch.

Eine Anhörung wie diese lässt keine Rückfrage, keine Richtigstellungen, keine Diskussion zu! Befürwortende MdB befragen befürwortende Sachverständige, ablehnende MdB befragen ablehnende Sachverständige. Der Erkenntnisgewinn dürfte somit gering sein für die Politiker im Gesundheitsausschuss die möglicherweise von ihren Kolleginnen und Kollegen um Rat gefragt werden. Das Bündnis ProTransplant hätte sich auch Fragen von den die WSR ablehnenden MdB gewünscht.

Was die Verfassungsbeschwerde betrifft: Die Verfassungsbeschwerde liegt fertig in der Schublade, wir haben ca. 2/3 der benötigten Finanzmittel und warten auf irgendeine Revision des Transplantationsgesetzes (TPG), um die Verfassungsbeschwerde einreichen zu können. Eine Revision des TPG könnte sein: Die Einführung der Überkreuz-Lebendspende.