Organspende: Was läuft falsch in Deutschland? – Sachstand, Lage, Bewertung, Empfehlung

A LAGE/ SACHSTAND November 2024

Ein paar Zahlen zur Veranschaulichung

In Deutschland sterben jedes Jahr knapp 1.000 Patienten auf der Warteliste für eine Organtransplantation.

Am 31.12.2023 warteten 8.716 Menschen auf ein Organ, davon warteten:

6.513   auf eine Niere,

871      auf eine Leber,

690      auf ein Herz,

325      auf Lunge(n)

317      auf eine Bauchspeicheldrüse.

(DSO-Jahresbericht 2023, Seite 9)

 

Es kann jeden treffen. Jederzeit.

 

Im Jahre 2023 starben ca. 1.030.000 Menschen in Deutschland. Von diesen wurden letztendlich 965 postmortale Organspender, dies sind knapp 0,093 Prozent aller Gestorbenen. Jeder Organspender spendet statistisch ca. 3,0 Organe, sodass ca. 2.895 Patienten jährlich die Warteliste verlassen; zusätzlich verlassen ca. 1.000 Patienten die Warteliste, weil sie versterben; darüber hinaus verlassen knapp 1.000 Patienten jährlich die Warteliste, weil sie nicht mehr transplantabel sind, weil die oft jahrelange Dialyse oder der Zustand ihres Herzens/ ihrer Leber usw. sie zu krank für ein Organempfangen gemacht hat.

Gleichzeitig kamen 2023 knapp 5.000 Patienten neu (wenige davon erneut) auf die Warteliste für eine Organspende. (DSO-Jahresbericht 2023, Seite 8). Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit für Sie, liebe Leser, irgendwann selbst ein Organ zu benötigen, ca. 5 mal so hoch ist wie Wahrscheinlichkeit, ein postmortaler Organspender zu werden.

Die Warteliste umfasst seit vielen Jahren zwischen 8.500 und 10.000 Wartende, alle sind betroffen.  Junge und Alte, Kinder, Väter, Mütter, Enkel, Omas, Kraftfahrer, Manager, Beamte und Arbeitslose.

Die Wartezeit auf eine Niere beträgt in Deutschland mittlerweile ca. 9 Jahre, auf eine Leber ca. 1,3 Jahre, auf ein Herz ca. 2,4 Jahre, auf Lungen ca. 1,2 Jahre. Nur um Ihre Neugier aufrecht zu erhalten: Die Wartezeit auf eine Niere in Spanien beträgt ca. 1 Jahr, in Österreich ca. 2 Jahre. Dazu später mehr. Leider hängt alles mit allem zusammen und wir können nicht alle Zusammenhänge in einem (Ab)Satz darstellen.

 

Konsequenzen für Patienten

Für alle, die auf Herz, Leber, Lungen oder Bauchspeicheldrüse warten, heisst es entweder rechtzeitig eine Organspende zu erhalten oder zu sterben. Und: „alle“, bedeutet: Dies könnte morgen auch Ihr Angehöriger sein!

Für Menschen mit Nierenversagen gibt es eine dauerhafte Ersatzlösung: die Dialyse. In Deutschland benötigen ca. 100.000 Menschen (> 0,12% der Bevölkerung) diese Form der Nierenersatztherapie. Nierenversagen bedeutet im Wesentlichen: 3 x in der Woche für jeweils fünf Stunden an eine Dialysemaschine ¹ angeschlossen zu werden, die das Blut von Giftstoffen reinigt und den Körper entwässert, denn Menschen mit Nierenversagen würden sich ohne Entgiftung selbst vergiften und können auch nicht mehr „pinkeln“. Sie dürfen fast nichts trinken und viele „gesunde Lebensmittel“ gar nicht oder nur in kleinsten Mengen essen (z.B. Obst, Gemüse, Vollwertprodukte).

Informationen zu den Kosten der Dialysebehandlung finden Sie am Ende des Artikels.

Wer kann überhaupt Organe spenden? Es gibt Lebendspenden und postmortale Spenden.

Das Deutsche Transplantationsgesetz (TPG) trat 1997 in Kraft und regelt u.A. die Spende, Entnahme, Vermittlung und Übertragung von Organen (und Gewebe), die nach dem Tod oder zu Lebzeiten gespendet werden.

Lebendspenden: Von bestimmten Verwandten ersten Grades, Ehepartnern oder besten Freunden kann eine Niere oder ein Leberlappen gespendet werden. Alle anderen Organe werden postmortal gespendet.

Diese Form der Organspende ist nicht Teil dieses Artikels und des zu beschriebenen Problems, da sich Spender und Empfänger in der Regel selbst „finden“, zumindest dann, wenn alle Beteiligten sehr gut beraten und aufgeklärt sind. Gleichwohl hier der Link zu einem entsprechenden Artikel. Die meisten Fraktionen des Bundestages planen ab/ für 2027 eine Erleichterung bei der Lebendspende. Hier der aktuelle Stand. (August 2024)

Was bedeutet „postmortale Spende“ in Deutschland?
Eine postmortale Organspende ist bei verunfallten oder sehr kranken Patienten möglich, die einen unumkehrbaren Hirnfunktionsausfall (Klein-, Groß- und Stammhirn, früher „Hirntod“) erlitten haben, dies waren in 2023 nur 965 von ca. 1.020.000 Verstorben.

Dieser unumkehrbare, vollständige Hirnfunktionsausfall wird von zwei speziell qualifizierten Ärzten, unabhängig voneinander, aufgrund eines sehr detaillierten Protokolls (Definition durch Bundesärztekammer) zwei Mal innerhalb von 24 Stunden festgestellt. Diese Feststellung kann ausschließlich auf einer Intensivstation erfolgen, weder an einem Unfallort noch auf einer Normalstation eines Krankenhauses.

Damit diese Person zum Organspender wird, muss diese Person zu Lebzeiten einen Organspendeausweis* ausgefüllt haben und/ oder ihre Angehörigen entsprechend informiert haben und/ oder eine entsprechende Patientenverfügung hinterlegt haben. Die Angehörigen können und sollen im Fall des unumkehrbaren Hirnfunktionsausfalls den mutmaßlichen Willen des Hirntoten bezogen auf eine Organspende gegenüber den Ärzten erklären, d.h. ohne Vorliegen eines Organspendeausweises können auch die Angehörigen einer Organspende zustimmen oder diese verweigern.

* Wichtig zu wissen: Auf einem Organspendeausweis kann man auch ankreuzen, dass man im Falle seines Hirntodes keine Organe spenden will.

In der Regel akzeptieren die Angehörigen den Willen des Hirntoten. Ist der Wille des Hirntoten nicht bekannt, lehnen die Angehörigen in mehr als der Hälfte der Fälle die Organentnahme ab, aus Unsicherheit, aus Trauer, aus Verzweiflung, aus Überforderung.

Für die Angehörigen bedeutet das: Im ungünstigsten Moment, nach Erhalt der traurigsten aller möglichen Nachrichten, eine der schwersten möglichen Entscheidungen zu treffen. Dieser Weg der Zustimmung ist im deutschen TPG als „erweiterte Zustimmungslösung“ definiert. Der Wunsch dieser Menschen, als Hirntoter Organspender sein zu wollen, wird in Deutschland im Zusammenwirken von Krankenhäusern, Transplantationszentren und der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) umgesetzt.

 

Deutschland im Vergleich

Was sind die Gründe für die o.g. langen Wartezeiten auf eine Organspende in Deutschland?
Es gibt einen Wert, der die Organspendebereitschaft einer Bevölkerung beschreibt: die Anzahl der Organspender pro 1 Million Einwohner. Der Wert für Deutschland ist über die Jahre immer weiter gesunken und liegt in Deutschland für 2023 bei 10,3.

Zum Vergleich die Zahlen für 2022: In Spanien lag dieser Wert bei 46, in Belgien bei 29,4, in Österreich bei 25,2, in den USA bei 44.

Diese unglaublich niedrige Spenderzahl hat fatale Folgen für die Menschen auf der Warteliste, z.B. für die Dialysepatienten die auf eine Niere warten und ihre Angehörigen: Sie warten bei uns im Durchschnitt ca. neun Jahre auf eine Niere, in Österreich hingegen ca. zwei Jahre, in Spanien sogar nur ca. ein Jahr.

Aus welchen Gründen gibt es diese Unterschiede bei den Wartezeiten? Alle genannten Länder sind vom medizinischen Standard mit Deutschland vergleichbar. Nun, vergleichen wir den europäischen Tabellenführer Spanien mit dem Tabellenvorletzten Deutschland: Es gibt zwei wesentliche Unterschiede zwischen Spanien und Deutschland das Transplantations- wesen betreffend:

1) Spanien hat mit der Gründung der Organización Nacional des Trasplantes (ONT) sein Transplantationswesen zentralisiert und verstaatlicht. Die ONT untersteht dem spanischen Gesundheitsministerium und ist für die Spendererkennung, Spenderbehandlung, Gesprächsführung mit den Angehörigen und der Organisation aller für die Organspende relevanten Abläufe zuständig. In Spanien führt man die hohe Zahl der Organspenden insbesondere auf den Einsatz hauptamtlicher Transplantationskoordinatoren zurück. Dies sind speziell geschulte Intensivmediziner, die die Aufgabe haben, potenzielle Spender in den Krankenhäusern zu identifizieren und Gespräche mit den Angehörigen zu führen.

2) In Spanien gilt die sog. Widerspruchsregelung (WSR), d.h., jeder ist dort automatisch -wichtig: Nur im Fall seines sog. Hirntodes- Organspender, außer er/ sie widerspricht ausdrücklich durch Eintrag in einem Register. (In einigen Ländern gibt es auch „Anti-Organspendeausweise“, d.h. dort gibt es kein nationales Register, nur der mitgeführte Ausweis gibt Hinweise darauf, dass jemand kein Organspender sein will.)

 

Anmerkungen zu Spanien/ ONT:

Schauen wir zunächst auf die Transplantationskoordinatoren, die es in Deutschland in den Entnahmekrankenhäusern auch gibt, in Deutschland heißen sie Transplantationsbeauftragte.² In der Realität haben sie etliche andere Aufgaben, zusätzlich sollen sie sich halt darum kümmern, potenzielle Organspender (auf den Intensivstationen der sog. „Entnahmekrankenhäuser) zu identifizieren. Unseres Wissens gibt es keine Kontrolle über die zur Finanzierung der Transplantationsbeauftragten verwendeten Mittel, da ihre Finanzierung pauschal erfolgt.

Darüber hinaus ist das Transplantationswesen in Deutschland weder verstaatlicht noch zentralisiert. In Deutschland sind die Entnahmekrankenhäuser in privater, kommunaler und bundesländischer Trägerschaft. Erschwerend kommt hinzu, dass es über das Moralisch-Ethische hinaus so gut wie keinen Anreiz für ein Krankenhaus gibt, potenzielle Organspender zu erkennen.

Hat die unter ² beschriebene Änderung des TPG irgendetwas Positives, also die Steigerung der Zahl der Organspenden bewirkt?

Nein! (siehe Seite 6 des DSO-Jahresberichts 2023)

 

Anmerkungen zur WSR:

In mittlerweile fast allen Ländern Europas gilt die WSR. Nur noch in Deutschland, Rumänien, Dänemark, Griechenland und Litauen gilt die sog. Zustimmungsregelung. Frankreich hat 2017 die Einführung der WSR beschlossen, die Niederlande haben dies 2018 beschlossen, England 2019, Schottland 2021, die Schweiz 2022. Begründung in allen Fällen: Verringerung der Wartezeiten auf ein Organ.

Übrigens: Österreich hat seit dem 1.1.1995 ein Widerspruchsregister. Mit Stand 1.1.2023 hatten sich 48.650 Personen eingetragen, dies entspricht bei knapp 9 Mio. Einwohner ca. 0,5% (der Bevölkerung). Wir finden dies erwähnenswert, weil sich Österreich und Deutschland soziokulturell wenig unterscheiden und diese geringe Zahl einen guten Hinweis darauf gibt, wie überwältigend groß die passive Zustimmung zur Organspende ist.

Im September 2018 hat der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit Unterstützung seines Nachfolgers Prof. Karl Lauterbach die Einführung der WSR auch für Deutschland angeregt und eine breite gesellschaftliche Diskussion angestoßen. Im Ergebnis führte dies am 16.01.2020 im Bundestag zu einer weiteren Novelle des TPG: „Das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“³.

Mal so ganz nebenbei: Der sperrige Namen dieses Gesetzes führt leider in der Praxis dazu, dass viele Journalisten fälschlicherweise schreiben, dass wir in Deutschland eine sog. Entscheidungsregelung haben. Diese Formulierung ist falsch, denn: Niemand muss sich entscheiden. Wir haben zurzeit nach wie vor eine Zustimmungsregelung, denn es kann nur zu einer Organspende kommen, wenn der Hirntote zu Lebzeiten einer Organentnahme für den Fall seines Hirntodes zugestimmt hat (oder die Angehörigen).

Lesen Sie hier, aus welchen Gründen auch dieses Gesetz keinerlei Verbesserungen für die Wartepatienten bringen wird.

In einer repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Frühjahr 2022 wissen wir:  84% der Befragten äußern sich positiv zur Organspende, gleichzeitig besitzen nur 39% der Bevölkerung einen Organspendeausweis.

 

Was sind die Gründe für diese Diskrepanz zwischen „wollen“ und „umsetzen“?

 Wir sehen drei Gründe.

1) Die meisten werden wohl ahnen, dass es einen Unterschied gibt zwischen der theoretischen Zustimmung/ dem Wohlwollen gegenüber Organspenden einerseits und der konkreten Umsetzung (dieser theoretischen Zustimmung) in Form des Tragens eines Organspenderausweises. Dazwischen liegt nämlich die konkrete Auseinandersetzung mit dem eigenen (Hirn-)Tod. Nicht wenige haben Angst davor, vorzeitig für tot erklärt zu werden, „um an die Organe ranzukommen“. Darüber hinaus ist den meisten nicht klar, dass sie statistisch ca. 5 mal eher ein Organ benötigen als dass sie ein Organspender werden. Die wenigsten wissen um die oben geschilderte Not in den Entnahmekrankenhäusern/ bei den Transplantationsbeauftragten.

Ganz kurz zum Prozess der Organspende: Wird ein möglicher Spender/ Hirntoter erkannt, müssen zwei Ärzte unabhängig voneinander, diesen sog. Hirntod feststellen. Ist der Patient Organspender (oder haben nach Befragen seine Angehörigen einer Organspende zugestimmt), werden die Blutgruppe/ Gewebeeigenschaften der Organe der europäischen Stiftung EUROTRANSPLANT in Leiden (NL) gemeldet. Diese entscheidet anhand der „besten Passung“ und der Dringlichkeit, wer auf der Warteliste welches Organ bekommen soll. Angeschlossen an EUROTRANSPLANT sind Deutschland, BeNeLux, Österreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn. In all diesen Ländern gilt die WSR, außer in Deutschland. Spender und Empfänger sind also nicht immer im selben Land. Deutschland ist „Organ-Importland“, d.h. dass Deutschland von der erheblich höheren relativen Zahl der Organspenden in den bei EUROTRANSPLANT angeschlossenen Ländern profitiert, die WSR dort akzeptiert, jedoch dieselbe den Bürgern in Deutschland vorenthält bzw. für nicht zumutbar erklärt.

2) Bleiben wir bei dem unumkehrbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktionen (Hirntod). Aus medizinhistorischer Sicht ist der Hirntod ein Novum, das Organspenden erst möglich macht. Es ist falsch und ein Mythos, dass die Hirntod-Definition erschaffen wurde, um Organe entnehmen zu können. Ohne die Zustimmung zur Organentnahme würden bei Vorliegen des Hirntodes die herz- und kreislauferhaltenden Maschinen abgeschaltet, sodass dann auch kurz danach der Herztod eintritt. Der Hirntod wurde diagnostiziert/ definiert, bevor die erste Organtransplantation stattfand.

Viele Befürworter der Organspende und der WSR finden zu Worten wie „Auch wenn der Tod meines Angehörigen so schmerzhaft ist, so kann er/ sie doch durch die Organspende Leben retten.“ Aus medizinethischer Sicht kann der Hirntod belastend sein für die behandelnden Ärzte und Pfleger, weil sie ab dem Moment der möglichen Organspende die Therapie in Richtung Organerhaltung ändern (müssen). Darüber hinaus sagen Kritiker der Organspende u.a., dass durch die Organspende der Sterbeprozess gestört werde. Hirntot bedeutet, dass alle Erinnerungen, Empfindungen, Wahrnehmungen, Charakter- und Persönlichkeitszüge erloschen/ abgestorben/ vernichtet sind. Vor allem ist auch die Fähigkeit, selbständig atmen zu können. Alle diese Funktionsverluste und Löschungen sind irreversibel.

3) Im Jahre 2011 gab es in Deutschland in vier Transplantationszentren sog. „Organspendeskandale“. Was war passiert? Eins vorweg: in keinem Fall ging es um Bereicherung der Ärzte oder der Kliniken, es ging nicht ums Geld! Es ging darum, dass in einzelnen Transplantationszentren Richtlinienverstöße gegen das TPG festgestellt wurden. Die größte Erschütterung der Organspendebereitschaft kam aus Göttingen: dort wurden einige Patienten, die auf eine lebensrettende Lebertransplantation warteten, von ihrem Arzt „kränker“ gemacht, dadurch stiegen diese auf der Warteliste weiter nach oben und erhielten wahrscheinlich eher eine Leber als wenn ihre Daten nicht manivuliert worden wären. Ähnliche Vorfälle gab es auch in Berlin, Heidelberg und München. Alle Fälle kamen vor Gericht, alle Ärzte wurden freigesprochen, ein Fall wurde sogar vom BGH bestätigt: ein Tötungs- oder Körperverletzungsvorsatz könne dem Arzt nicht vorgeworfen werden.

Gleichwohl wurde wegen dieser Vorfälle 2012 das TPG geändert: die Manipulation von Patientendaten kann mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft werden.

 

Was sagen die Religionsgemeinschaften?

Die beiden christlichen Kirchen in Deutschland bezeichnen Organspende als „letzten Akt der Nächstenliebe“. Allerdings lehnen die beiden Kirchen die Widerspruchsregelung vehement ab. Auch der Islam (mit Ausnahme der wahabitischen Auslegung des Korans) sieht es ebenfalls so.

 

Was sagt Karl Lauterbach, der aktuelle Bundesgesundheitsminister?

„Wer nicht spenden will, muss vorher ‘Nein’ sagen. Notwendig wäre ein Register, in das man sich eintragen kann, wenn man nicht bereit ist, zu spenden.“ Wir finden seine Aussage richtig, vermissen jedoch politische Führung, ein Gesundheitsminister muss Vorbild sein, der Gesellschaft aufzeigen, was gut für sie ist, er muss Stellung beziehen und die Gesetzesänderung initiieren. Das alles vermissen wir beim Bundesgesundheitsminister.

Mittlerweile gibt es auch ein Register in Deutschland, allerdings nicht nur für Widersprüche, sondern eben auch für Zustimmungen, die ja zur Zeit noch Mindestvoraussetzung für eine Organspende sind. Was wir von diesem Register halten, lesen Sie hier.

 

Es kann jeden treffen. Jederzeit.

 

Was sagen andere zur Möglichkeit der WSR?

 

B Bewertung

Es kann jeden treffen. Jederzeit.

Eine verschleppte Grippe, eine plötzlich auftretende Autoimmunerkrankung, der Verzehr eines speziellen Pilzes oder eine Geburt (der Mutter) können zum Organversagen und somit zur Warteliste (oder zum Tod) führen.

Wir verfolgen das Thema Organspendermangel seit ca. 29 Jahren intensiv. Seit 29 Jahren wird von der Politik und anderen Willensbildnern argumentiert, dass wir mehr Aufklärung zu diesem Thema benötigen, damit Menschen sich bereit erklären, im Fall ihres möglichen Hirntodes Organspender zu werden. Wir versuchen, mit diesem Artikel aufzuklären. Gleichzeitig sind in den letzten 29 Jahren die Wartezeiten länger und damit die Situation für die Betroffenen immer schlechter geworden, sodass wir zu dem Schluss kommen, dem Beispiel von nahezu allen Ländern Europas zu folgen. Das Modell der Aufklärung hat in Deutschland leider komplett versagt. Und glauben Sie uns, es liegt nicht an dem Willen, den Kompetenzen und der zeitlichen Verfügbarkeit von uns Patienten, die wir in Volkshochschulen, Schulen, Firmen, Behörden, Ärztekammern usw. unsere aufklärenden Vorträge halten. Es liegt u.E. am fehlenden politischen Willen, wirkungsvolle Kampagnen zu starten á la „Gib AIDS keine Chance“.

Die WSR ermöglicht die komplette Selbstbestimmung: Jeder kann immer komplett über seinen Körper, seine Organe bestimmen. Durch das Einlegen eines Widerspruchs in dem seit März 2024 verfügbaren Register, durch einen Organspendeausweis, durch eine Patientenverfügung, durch die Information der Angehörigen.

Was uns sehr wichtig ist: Durch die Widerspruchsmöglichkeit wird niemand in seinen Rechten eingeschränkt. Gleichzeitig wird es immer sehr viele Menschen geben, die sich, warum auch immer, für dieses Thema nicht interessieren oder ihre Lücke zwischen theoretischer Zustimmung und Umsetzung durch das Tragen eines Organspenderausweises nicht schliessen können. Diese würden durch die WSR (im Fall ihres Hirntodes, man kann es nicht oft genug sagen und schreiben) zu potenziellen Organspendern. Wir müssen muss klar sagen: Das ist der große Nutzen der WSR: daß die o.g. Lücke so viel leichter geschlossen werden könnte.

Uns wäre es natürlich lieber, jeder würde sich zu Lebzeiten entscheiden. Egal, ob dafür oder dagegen. Mit einer Entscheidung erspart man seinen Angehörigen einen großen Konflikt, im Fall des Falles.

 

Entscheiden Sie! Selbstbestimmt.

 

Jeder möge sich fragen: Was wünsche ich mir, wenn mein Kind, mein Partner, meine Mutter plötzlich auf ein Herz, eine Leber, eine Niere angewiesen ist? Will ich dann die bestmögliche Behandlung oder akzeptiere ich den nahenden Tod für das Kind, den Partner, den Vater? Und, wenn mein Kind, mein Partner, meine Mutter und ich als Angehöriger die bestmögliche Therapie, also die Transplantation wollen: Wo soll das Organ herkommen, wenn so wenige Menschen Organspender sein wollen oder können. Es geht eben nicht immer und ausschließlich darum, was gegeben oder nicht gegeben werde könnte. Es geht auch darum, dass Ihre Angehörigen auf ein Organ angewiesen sein könnten (Gott möge es verhüten) und weiterleben können sollen.

Es gibt kein Recht auf Organspende!

Es gibt auch keine Pflicht zur Organspende, weder juristisch noch moralisch, auch bei einer WSR nicht. Jeder kann widersprechen. Ohne Begründung. Manche halten dies für unzumutbar. Alle Leidenden, ihre Angehörigen und alle anderen Unterstützer halten die Abgabe eines Widerspruchs für zumutbar. Niemand muss sich inhaltlich mit dem Thema/ dem eigenen Tod auseinandersetzen, um zu widersprechen. Wer das Einlegen eines Widerspruchs ohne Auseinandersetzung mit dem Thema schon als unzumutbar betrachtet, findet bei den Wenigsten dafür Verständnis.

 

Es sollte jedoch das Recht auf die bestmögliche Therapie geben.
Für alle, die dies wollen.

Und es muss das Recht auf Widerspruch gegen Organspende geben. 
Für alle, die dies wollen.

Beides ist möglich.


Für die, die nichts wollen, trifft der Staat/ die Gesellschaft die Entscheidung analog zum Erbrecht: Setzt man kein Testament auf, so kommt es zur gesetzlich vorgesehenen Erbfolge. Legen Sie nach Information durch das Amtsgericht (über die Erbschaft) keinen Widerspruch innerhalb sechs Wochen ein, so erben Sie, eventuell auch die Schulden des Erblassers.

Alle Staaten Europas (ausser Deutschland, Dänemark, Rumänien, Griechenland und Litauen) beziehen durch die dort existierende WSR glasklar Stellung und empfehlen als „vom Staat erwünschte Haltung die „angenommene Zustimmung“ zur Organspende im Fall des Hirntods.

 

Es kann jeden treffen. Jederzeit.

 

C FAZIT/ EMPFEHLUNGEN/ FORDERUNGEN

Wir benötigen eine bessere Erkennung der möglichen postmortalen Organspender.

Nur das Zusammenwirken zwischen der

  • Einführung der WSR durch eine Novellierung des deutschen TPG,
  • Einführung der Organspende nach Herz-Kreislauf-Tod,
  • Einführung der sog. Überkreuz-Lebendspende,
  • Einführung der altruistischen Organspende,
  • bundesweiten, zu erhöhenden Freistellungsrate der Transplantationskoordinatoren in den Entnahmekrankenhäusern,
  • besseren Vergütung für die Krankenhäuser bei Organentnahmen und -implantationen,
  • einer Kontrollmöglichkeit über die Verwendung der Finanzierungsmittel der Transplantationsbeauftragten

kann eine wesentliche Verkürzung der Wartezeiten auf ein Organ und somit eine Reduzierung von Leid und der Anzahl von ca. drei Toten pro Kalendertag bewirken. Die Kieler Studie von Schulte et al. von 2018 ermittelte, dass in Deutschland die Zahl der Organspenden unter bestimmten Umständen zu verdreifachen wäre.

 

DIE ORGANSPENDE IN DEUTSCHLAND BRAUCHT EIN NEUES HERZ!

Zu den Dialysekosten
Die jährlichen Kosten für einen Dialysepatienten betragen ca. € 54.000, demzufolge die jährlichen Kosten für Dialyse bei ca. 100.000 Dialysepatienten ca. € 5,4 Mrd. Eine Nierentransplantation kostet ca. € 14.000 bis € 55.000 (je nach Quelle), arithmetisches Mittel ca. € 34.000. Theoretisch könnten also für die ca. 6.513 auf eine Niere Wartenden (per 31.12.2023) bei einer Reduktion der Wartezeit von z.Zt. 9 Jahren auf 1 Jahr (z.B.) Dialysekosten von ca. € 2,85 Mrd. eingespart werden. (6.600 Patienten x € 54.000 Jahresdialysekosten x 8 Jahre).

 

Wenn männliche Substantive benutzt wurden, die auch, sachlich-medizinisch, durch alle anderen möglichen Geschlechter ersetzt werden könnten, so sind alle anderen, möglichen Geschlechter inhaltlich mitgedacht, mitgemeint, aber nicht mitgeschrieben, um das Lesen zu erleichtern.

 

 

¹ Ca. 95% aller Dialysepatienten wählen diese Form der Dialyse (sog. Hämodialyse), ca. 5% der Dialysepatienten wählen die sog. Bauchfell- oder Peritonealdialyse.

² Seit 2019 („Zweites Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes (TPG) – Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende“) gibt es auch in Deutschland Transplantationsbeauftragte in den ca. 1.200 Organ-Entnahmekrankenhäusern, sie müssen sogar freigestellt werden, und zwar pro 10 Intensivbetten in einem Krankenhaus zu 10% (oder 1/10 Planstelle), d.h., dass z.B. in einem Krankenhaus mit 100 Intensivbetten ein Transplantationsbeauftragter in Vollzeit tätig ist (oder zwei zu jeweils 50% usw.) Im Jahre 2022 gab es in Deutschland 26.300 Intensivbetten, also in toto 263 Transplantationsbeauftragte.

³Der Gesetzentwurf für die mögliche Einführung der WSR, der i.W. von den früheren und jetzigen Bundesgesundheitsministern Spahn und Lauterbach forciert wurde, fand zwar bei den Abgeordneten der CDU/ CSU und SPD im Bundestag eine Mehrheit, nicht jedoch bei den Grünen, der FDP, den Linken und der AfD. Vor allem die Grüne Annalena Baerbock und der CSU-Abgeordnete Stefan Pilsinger waren/ sind erbitterte Gegner der WSR. Ein repräsentatives ZDF-Politbarometer vom 17.1.2020 stellte fest, dass auch die Mehrheit der Bevölkerung (62%) in Deutschland die WSR befürwortet.